Fünf Jahre Vollgas

Eine Einzelpraxis zu übernehmen, kommt für viele Jungmediziner nicht in Frage. Schon gar nicht auf dem Land. Für HNO-Ärztin Eva-Maria Ebner aus Oldenburg in Holstein steht nach aufregenden Jahren als Chefin in der eigenen Praxis fest: „Ich würde es jederzeit wieder machen“.  

Der Wind weht kräftig an diesem kühlen Vormittag im Februar. Die Fahnen, die vor der Auffahrt zur Sana Klinik Oldenburg aufgestellt sind, flattern laut und die orangefarbene Fassade der neben dem Krankenhaus gelegenen Arzt- und Physiotherapiepraxen leuchtet im spätwinterlichen Grau. In der 1. Etage des modernen Gebäudes liegt die HNO-Praxis von Eva-Maria Ebner. Seit Oktober 2013 ist sie dort die Chefin. Sie übernahm die Einzelpraxis von einem Kollegen, der sich räumlich verändern wollte. Vorher hatte sie die letzten drei Monate ihrer Facharztausbildung in Oldenburg gemacht und dabei entdeckt, dass ihr Arbeit, Team und der Menschenschlag Ostholsteins sehr gut gefielen. Dazu kamen weitere positive Erfahrungen bei Praxisvertretungen. An eine Klinik zu gehen, kam für sie nicht in Frage, da sie Patienten dort in der Regel nicht über einen längeren Zeitraum behandeln konnte. „Das war nicht die Art von Medizin, die ich machen wollte“, erklärt Ebner.

Chance Niederlassung

Eine Niederlassung bot ihr mehr Möglichkeiten. In Oldenburg versorgt sie ein sehr breites medizinisches Spektrum, zu dem neben Chronikern auch Allergie-, Tumor- und Nebenhöhlenpatienten gehören. „Ich begleite viele meiner Patienten durch eine länger andauernde Behandlung, so dass sich oft ein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen entwickelt. Das ist toll“, hebt die Fachärztin hervor. Sie zögerte deshalb keine Sekunde und machte schnell Nägel mit Köpfen, als sie Anfang 2013 entschied, ihre Wunschpraxis zu übernehmen. Da war sie 32 Jahre alt und hatte noch nicht einmal ihre Facharztprüfung in der Tasche. „Die habe ich erst im August gemacht. Es musste gleich im ersten Anlauf klappen, weil ich im Oktober eröffnen wollte“, berichtet die HNO-Ärztin, die mit ihrem Lebenspartner in Scharbeutz an der Ostsee lebt. Die Fahrzeit zu Praxis dauert 20 Minuten. Für Ebner, die aus einem kleinen Vorort von Wolfsburg stammt und in Halle/Saale und Lübeck studiert hat, bedeuten Hin- und Rückfahrt wertvolle Entspannungsphasen. „Natürlich arbeite ich viel, aber ich empfinde das nicht als Belastung. Ich wollte immer auf dem Land arbeiten und mein eigener Chef sein. Nun lebe ich seit fünf Jahren meinen Traum.“ In ihrer Praxis kann sie auch in kleinen Details verwirklichen, wie etwa bei der Auswahl der Wandfarbe oder der Homepage meiner Praxis. „Das bestimme ich alles selbst“, stellt sie klar.

Der Start

Beim Start in ihr neues Arbeitsumfeld überfordert zu sein, diese Befürchtung hatte Ebner nicht. Intensives Arbeiten war sie aus ihrer Ausbildungszeit an der Klinik gewohnt. Sie hatte sich außerdem von ihrem Praxisvorgänger anstellen und einarbeiten lassen. „Ich habe es mir von Anfang an zugetraut, aber sicher musste ich für diesen Schritt Mut haben. Dazu kam der Vorteil, dass ich in ein gerätetechnisch sehr gut ausgestattetes Konstrukt eingestiegen bin“, berichtet sie. Die Praxis war nicht „heruntergewirtschaftet“, sondern bot ihr die Möglichkeit, über 100 Patienten am Tag zu behandeln, ohne Abstriche bei der Versorgungsqualität machen zu müssen. Ebner ist die einzige HNO-Ärztin im Umkreis von 15 Kilometern. Deshalb musste sie sich auch nie gegen andere Praxen durchsetzen und „um Patienten kämpfen“. Außerdem konnte sie in der stressigen Startphase und auch danach auf ihr eingearbeitetes, gut geschultes und sehr motiviertes Team bauen. „Am Anfang haben meine Mitarbeiterinnen eher mich organisiert, hin- und hergeschickt und nicht ich sie. Ich habe ein tolles Team. Es macht Spaß und wir duzen uns, weil es passt.“

Patientenandrang und Regressabwehr

Ebner bietet in ihrer Praxis das gesamte HNO-Spektrum an, dazu kommen sehr viele Hyposensibilisierungen, ambulante Operationen und schlafmedizinische Anwendungen. Außerdem übernimmt sie regelmäßig Konsildienste im benachbarten Krankenhaus. Im Dezember 2018 erwarb sie die Zusatzbezeichnung Allergologie und  erhielt eine Weiterbildungsermächtigung für 18 Monate, da sie auch Hymenopterengifte spritzt. Ein Praxiskonzept, das auch bei den Patienten sehr gut ankommt. Ihr Vorgänger kam im Schnitt bereits auf 1.600 Scheine. Ebner startete deshalb mit einem sehr hohen Praxis-Budget in die Selbstständigkeit und die Praxis wuchs auf hohem Niveau weiter. Heute kommt sie auf 2.200 Scheinen. Der Fachgruppendurchschnitt liege bei rund 1.300, berichtet sie. Vorteil: Den Kredit für Praxis und Kassenarztsitz – ein hoher sechsstelliger Betrag – konnte sie in der Rekordzeit von fünf Jahren abbauen. Nachteile: Ihre Abrechnung wird nur abgestaffelt ausgezahlt und ihr Arzneimittelbudget liegt immer deutlich über dem Durchschnitt. „Ich musste bereits zwei Regressandrohungen abwehren. Mit Erfolg, denn meine Praxisbesonderheiten überzeugten“, so Ebner.

Freizeit und Vernetzung

Bleibt das Thema „Urlaub“, das für Nachfragen bei ihren Patienten sorgte. Doch die HNO-Ärztin hört auf ihr Bauchgefühl und nimmt sich regelmäßig Auszeiten, um neue Kraft zu tanken. „Etwas Abgrenzung muss sein. Meinen Patienten sage ich, dass sie auch nichts davon haben, wenn ich krank werde.“ Trotzdem nahm das Patientenaufkommen weiter zu, so dass sie als Ventil Sonderbedarf anmeldete. Als Folge bekam sie einen halber Kassenarztsitz zugesprochen. Ein Fortschritt, denn seit Juni 2018 arbeitet ein erfahrener HNO-Arzt als Angestellter in der Praxis und verschafft ihr weiteren Freiraum. „Auch nach fünf Jahren Niederlassung verliere ich nie den Respekt vor meinen Aufgaben. Aber ich bin an ihnen gewachsen und habe mir ein gutes Netzwerk aufgebaut, z. B. Richtung KVSH, Ärztekammer, Finanzamt und Steuerbüro. Bei Problemen stand man mir dort immer beratend zur Seite. Deshalb gehe ich auch in Zukunft zuversichtlich mit neuen Hürden um“, so Ebners Fazit.

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