Von den Mainwiesen ans Schleiufer – Praxisluft im „echten Norden“

Welche Gründe bewegen eine Frankfurter Medizinstudentin wie mich dazu, ihre Praxisfamulatur ausgerechnet in Schleswig zu verbringen? Ich kann gerne gleich am Anfang verraten: Ein Mangel an Lehrpraxen im Rhein-Main-Gebiet ist es nicht.

Jemandem, der das Glück hat, in der Wikingerstadt zwischen zwei Meeren oder deren Umfeld zu leben, brauche ich im Grunde auch gar nicht zu erklären, warum es Balsam für die Seele ist, dem „echten Norden“ seine Zeit zu schenken. Ein Spaziergang über die sattgrünen Königswiesen, ein Blick auf die Segelboote, die im Abendlicht über die Schlei gleiten oder sanft schaukelnd im Hafen schlummern, und schon kann man meinen, der frische Ostseewind nähme auch all die Sorgen und Nöte des Alltags mitsamt der salzigen Meeresluft und dem Geschrei der Möwen hinweg… Warum aber habe ich mich dazu entschieden, nicht nur die Vorzüge Schleswigs als Urlaubsregion zu genießen, sondern im Rahmen meiner medizinischen Ausbildung auch für die Dauer eines Monats hier zu leben und zu arbeiten? Nun, ich bin froh darüber, sagen zu können, dass ich mit meiner Famulatur in der Gemeinschaftspraxis im Seminarweg gleich mehrere Aspekte verbinden konnte, welche mir im Vorfeld wichtig waren:

Gute Betreuung

Während meiner Zeit in der internistischen Gemeinschaftspraxis im Medi-Center Schleswig von Birgit Carstens-Radtke, Dr. Carsten Petersen und Daniel Hien hatte ich das Vergnügen, mit jedem bzw. jeder der insgesamt fünf Ärzte und Ärztinnen aus dem Team zusammenzuarbeiten. Dabei durfte ich jede oder jeden von ihnen bei der Sprechstunde begleiten und bei der Anamneseerhebung, der körperlichen Untersuchung sowie bei der Wundversorgung unterstützen. Weiterhin hatte ich zu meiner Freude auch die Gelegenheit, an Hausbesuchen und an Diabetes-Schulungen teilzunehmen sowie bei einem Dienst in der Anlauf-Praxis am Helios-Klinikum wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Angesichts der aktuellen Lage gehörten zudem auch Impfungen gegen das neuartige Corona-Virus zum Tagesprogramm. In jedem Fall kam ich in den Genuss einer 1:1-Betreuung und habe alle Kollegen und Kolleginnen als sehr motiviert und engagiert wahrgenommen – ein Luxus, von welchem man auf Station in der Regel nur träumen kann.

Breites Patientenspektrum

Die Kreisstadt Schleswig stellt als eine der größeren Städte in der Umgebung ein medizinisches Zentrum für viele kleinere Orte in der Umgebung dar und ist als Stadt gleichzeitig überschaubar. Somit erhielt ich hier die Chance, das breite Patientenspektrum einer Stadt-Hausarztpraxis zu Gesicht zu bekommen und gleichzeitig auch viele Patienten aus der ländlichen Umgebung zu behandeln, welche eher das Klientel einer klassischen Landarztpraxis darstellen. Dank dieser Konstellation begegnet man Patienten, welche man unabhängig von der späteren Facharztwahl in jedem Fall mitbehandeln wird. Da es sich bei der Praxis im Seminarweg nicht nur um eine internistische Praxis mit Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung, sondern gleichzeitig auch um ein Diabetes-Zentrum/ DDG  handelt, wurde mir hier auch ein umfassender Einblick in die Versorgung von Menschen mit Diabetes, darunter auch seltene Formen, wie beispielsweise LADA oder MODY, geboten. Hierbei durfte ich viel über verschiedene Mess- und Pumpsysteme, die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms sowie die begleitende Ernährungsberatung lernen und auch bei kleinen Eingriffen wie dem Wechsel eines Glucose-Sensors assistieren. Die regionale Bedeutung einer solchen Schwerpunktpraxis wurde mir wiederum deutlich gemacht, als wir auch Patienten von den weiter entfernten Nordseeinseln zur Behandlung begrüßen durften.

Perspektiven für das eigene Berufsleben

Famulaturen bieten immer eine gute Gelegenheit, um realitätsnahe Einblicke in mögliche spätere Berufsfelder zu erhalten und dabei über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen – auch und gerade die von manchen Studierenden als lästige Pflicht empfundene Praxisfamulatur oder „Hausarztfamulatur“. Leicht zu sagen für eine Studentin, die sowieso Hausärztin werden möchte und sich von Anfang an nichts Anderes vorstellen konnte? Mag sein, dazu kann ich jedoch nichts sagen, denn auf mich trifft keines von beidem zu. Ganz im Gegenteil – als ich voller Eifer und freudiger Erwartung zum ersten Mal meinen Fuß in einen Hörsaal der medizinischen Fakultät setzte, ging es mir wie vielen anderen meiner Kommilitonen wahrscheinlich auch: Mir war klar, die große Uni-Laufbahn soll es sein. Dementsprechend habe ich mein Studium mit meiner experimentellen Promotion im Bereich der Neurophysiologie auch sehr forschungsnah ausgerichtet. Meine Leidenschaft für die medizinische Forschung, besonders im Bereich der Neurowissenschaften, ist bis heute ungebrochen, doch wie vielleicht schon deutlich wird, habe ich meine Augen mittlerweile auch für viele weitere Wege geöffnet, welche sich mir im Laufe des Studiums aufgetan haben. Genau dafür bieten Famulaturen eine wunderbare Gelegenheit. Nach meiner Praxisfamulatur kann ich jetzt definitiv sagen: Ja, auch eine Niederlassung würde für mich mal infrage kommen. Und wenn, dann am liebsten eine Gemeinschaftspraxis. Am liebsten als Neurologin oder als Internistin. Gerne auch in einem kleineren Ort und gerne auch im Norden. Die junge Abiturientin, welche vor Jahren staunend zum ersten Mal auf die Leinwand eines Hörsaals blickte, würde mir diese Worte wahrscheinlich gar nicht glauben, aber das kann ich ihr auch kaum verübeln, denn diese Erkenntnis lehrt nur die persönliche Erfahrung.

Arbeit ist nicht alles…

Mein Aufenthalt in Schleswig wäre wahrscheinlich nicht halb so schön gewesen, wenn ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte, abends nochmal in die Schlei zu springen oder am Hafen ein Eis zu genießen. Da ich in Schleswig gute Freunde habe, bei welchen ich in der Zeit auch wohnen durfte, bin ich im Grunde auch nicht ganz neu in der Gegend. Gemeinsam haben wir Ausflüge nach Flensburg oder nahegelegene Orte wie Arnis gemacht, sind über den Holm oder ums Haddebyer Noor nach Haithabu spaziert, haben den Barockgarten, das Globushaus sowie das Landesmuseum im Schloss Gottorf bewundert, haben sonnige Tage am Strand oder auf Erdbeer-, Himbeer- und Heidelbeerfeldern verbracht und Starkregenereignisse mit gemütlichen Kreativ-Nachmittagen oder dem Einkochen der erbeuteten Früchte überbrückt. Zu meiner großen Freude durfte ich allerdings nicht nur mit meiner Gastfamilie, sondern auch mit meinen Kollegen und Kolleginnen aus der Praxis viele schöne Stunden verbringen. Im Allgemeinen herrschte in der Praxis ein sehr wertschätzendes und familiäres Miteinander, und somit gehörte es wie selbstverständlich zum Praxisalltag, zwischen Sprechstunde und Hausbesuch mal ein Eis essen zu gehen oder es sich in der Pause bei Kaffee und einem Stück Kuchen gemütlich zu machen. Als Highlight meiner Zeit in Schleswig wird mir auch das gemeinsame Segeln auf einem historischen Schleikahn des Holmer Segelvereins in besonders guter Erinnerung bleiben. Im Licht der Abenddämmerung, mit dem Geschmack der salzigen Meeresluft auf den Lippen hatte ich hier wirklich schnell das Gefühl, ich könnte meine Sorgen einfach am Ufer zurücklassen und vom Wind weit forttragen lassen.

Ob ich für meine Praxisfamulatur also wieder den weiten Weg von Frankfurt nach Schleswig auf mich nehmen würde? Ja, immer wieder.


Daniela Schenkel, Medizinstudentin, Frankfurt a.M.

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