Vorteil Landarztpraxis

Theresa Petersen nutzte ihr Wahltertial im Praktischen Jahr, um in einer Landarztpraxis die Allgemeinmedizin besser kennen zu lernen und suchte sich dazu die Lehrpraxis der Hausärzte Dr. Karsten Haas und Dr. Gerrit Schenk in Lensahn (Kreis Ostholstein) aus. Die Medizinstudentin aus Lübeck und einer ihrer Lehrärzte berichten über die für beide Seiten spannende Zeit.


Nordlicht: Über die Arbeit Landarztpraxen gibt es sehr unterschiedliche, oft auch von Klischees und Vorurteilen besetzte Vorstellungen. Mit welchen Erwartungen sind Sie Richtung Lensahn gestartet?

Theresa Petersen. Ich war gespannt, was mich wohl erwarten wird. Welche Patienten werden sich vorstellen? Sind das wirklich andere Krankheitsbilder als die, die einem in der Stadt begegnen? Das erzählten die Professoren zwar immer in den Vorlesungen, aber ist das heutzutage wirklich immer noch so? Im Vorgespräch mit den beiden Lehrärzten Dr. Carsten Haas und Dr. Gerrit Schenk berichteten diese vom großen medizinischen Spektrum, das ich dort sehen werde. Unter den Patienten würden auch viele Kinder sein, auf die ich mich sehr gefreut habe, da ich zu diesem Zeitpunkt noch Berührungsängste bei der Untersuchung von Kindern hatte. Zudem habe ich gehofft, dass ich es „auf den letzten Metern“ meines Studiums noch einmal ausnutzen kann, dass immer ein Facharzt in meiner Nähe sein wird, den ich alles fragen darf und der begutachtet, wie ich Patienten untersuche und mir wertvolle Tipps gibt. In der Klinik habe ich zwar viel untersucht, aber meistens allein und da hätte ich mir häufiger gewünscht, dass mir jemand über die Schulter schaut.

Nordlicht: Und wie sah die Realität vor Ort aus?

Petersen: Mein erster Gedanke war: Krass! Diese Praxis ist echt gut organisiert und es ist gar nicht wuselig oder unruhig, obwohl 13 Mitarbeiter an diesem Vormittag zeitgleich gearbeitet haben und auch viele Patienten da waren. Am Anfang durfte ich Dr. Haas begleiten, der mich viel untersuchen ließ, mir Fragen stellte, „Hausaufgaben“ und auch Tipps und Verbesserungsvorschläge zu meinen Untersuchungstechniken gab. Dadurch waren die Sprechstunden zwar ziemlich anstrengend, aber auch sehr lehrreich. Besonderes Glück hatte ich, dass Dr. Haas eine Zusatzausbildung in Manueller Medizin hat. Er kann daher den Bewegungsapparat sehr gut untersuchen und mir viel zeigen. Das war sehr hilfreich, denn ich hatte vorher wenig Ahnung, wie ich Rücken, Knie oder Schulter untersuchen soll. Nun habe ich in diesen Bereichen Routine entwickelt und viel Sicherheit bekommen. Später begleitete ich auch die anderen Ärzte und Ärztinnen aus der Praxis, die sich ebenfalls viel Zeit für meine Fragen nahmen. Die beiden Lehrärzte haben mit ihrer Aussage zur Vielseitigkeit der Behandlungsanlässe Recht behalten, denn ich habe einige Sachen gesehen, die ich so nicht erwartet hätte: Ein Patient mit einer Rippenserienfraktur. Dazu viele Hauterkrankungen in einem Ausmaß, wie ich sie noch nicht einmal in meiner Famulatur beim Dermatologen gesehen hatte. Außerdem viele gesunde Kinder, die zu Dr. Schenk zur Vorsorgeuntersuchung kamen. 

Nordlicht: Das sind viele medizinische Aspekte, mit denen die Praxis punkten konnte. Wie haben Sie die Arbeit als „Landärztin in spe“ emotional empfunden?

Petersen: Ich hatte viel mehr Zeit, mich mit den Patienten zu unterhalten, als ich erwartet hatte. Das war eine schöne Erfahrung. Zudem dachte ich zuvor, dass es Jahre dauern wird, bis man sich richtig eingelebt hat und die Patienten kennt. Doch ich habe in den drei Monaten ganze Familien kennengelernt und wurde schon nach kurzer Zeit mit folgenden Worten begrüßt: „Hallo Frau Petersen, wir kennen uns ja schon von letzter Woche, als ich mit meiner Mutter zur Einstellung des Blutdrucks bei Ihnen war. Heute lernen Sie dann meine Tochter kennen, die seit zwei Tagen Ohrenschmerzen hat.“ Ich hatte das Gefühl, es ging ganz schnell und ich war mittendrin. Allgemeinmedizin auf dem Land ist ein toller Job, der abwechslungsreich ist und so, wie ich es bei den Ärztinnen und Ärzten wahrgenommen habe, auch glücklich macht. Es wird häufig kritisiert, dass kaum noch Zeit da sei, um sich mit den Patienten zu unterhalten und ich hatte Sorge, dass ich nach meinem PJ die Praxis mit diesem Eindruck verlasse. Doch dies hat sich nicht bestätigt; auch heutzutage ist es noch möglich, ein paar Worte mehr, als nötig zu wechseln und das finde ich sehr schön.

Nordlicht: Ärztinnen und Ärzte werden überall händeringend gesucht. Gut für Sie, denn Sie haben bei der Wahl Ihres Arbeitsplatzes die Qual der Wahl. Wo wollen Sie denn in fünf Jahren am liebsten arbeiten?

Petersen: Das ist schwer zu sagen, weil in fünf Jahren so viel passieren kann. Momentan kann ich mir sehr gut vorstellen, in fünf Jahren in einer Praxis auf dem Land zu arbeiten und vielleicht ja sogar in Lensahn.

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